Über die Faszination der Natur und unser Begehren, sie beherrschen zu wollen

Die Stellersche Seekuh

1741 ist der deutsche Arzt und Naturwissenschaftler Georg Wilhelm Steller mit Kapitän Vitus Bering auf Expeditionsreise im Nordmeer unterwegs. Eines Tages erblickt er ein Tier im Wasser, das er vorher noch nie gesehen hat: ein friedliches, gutmütiges Wesen, das sich innerhalb der Familie sozial verhält. Steller beobachtet, forscht und lässt Tiere töten, um das unbekannte Wesen festzuhalten, welches später als Stellersche Seekuh bekannt wird. Allerdings ist diese Tier bald Geschichte, nur wenige Jahre später wird die letzte Seekuh erschlagen - eine weitere Tierart stirbt aus.

1859 findet der finnische Gouverneur Johan Hampus Furuhjelm im damals russischen Alaska, das Skelett einer Stellerschen Seekuh, das er nach Finnland bringen lässt. 

Und 1952 wird der Ornithologe John Grönvall beauftragt, das Skelett der Seekuh für eine neue Ausstellung zu restaurieren.

Über drei Jahrhunderte hinweg erzält Iida Turpeinen die Geschichte eines mächtigen und friedliebenden Geschöpfes, der Stellerschen Seekuh, und der Menschen, die sie entdeckt, erschorscht und zu ihrem Aussterben beigetragen haben. Der Roman, der auf Tatsachen basiert, erzählt vom Verhältnis der Menschen zur Natur, vom Wissensdurst und der nicht immer postiven Auswirkungen. Eine grosse Geschichte über die Faszination der Natur, das Begehren, sie beherrschen zu wollen und wie alles mit allem verbunden ist. Ein beeindruckendes Debüt.

Iida Turpeinen: Das Wesen des Lebens   S. Fischer Verlag

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Ein fesselndes Mutter-Tochter-Porträt

Zwischen Schuld und Versöhnung

Johanna ist für die Vereinten Nationen auf humanitären Einsätzen in der ganzen Welt unterwegs. Sie erlebt Kriege, Verfolgung und Hungersnöte hautnah, während Zuhause ihr Mann Ralph und ihre Tochter Elsa warten. Doch jedesmal wenn sie nach New York zurückkommt, fühlt sie sich wie ein Gast im eigenen Zuhause. Ralph und Elsa finden, dass sie sich mehr um andere kümmert als um die eigene Familie. Sie haben sich ihren Alltag ohne sie eingerichtet und das bekommt sie deutlich zu spüren.

Als Johanna sechzig wird, erbt sie das Haus am Rhein ihrer kinderlosen Tante Toni. Dort hat sie die Sommer ihrer Kindheit verbracht. 

Elsa ist mittlerweile eine erfolgreiche Anwältin am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, das Verhältnis zu Johanna ist sehr kühl und distanziert, vieles ist unausgesprochen.  Als sie einen Burnout erleidet, lässt sie sich von ihrer Mutter überreden, für eine Weile in das Sommerhaus zu ziehen, wo diese gerade am Renovieren ist. Beide verbinden viele schöne Erinnerungen mit dem Haus, aber auch mit Tante Toni.

Nach und nach stellen sich die beiden Frauen der Vergangenheit, beginnen aufzuarbeiten, was so viele Jahre zwischen ihnen stand. Zudem gibt es ein Geheimnis, das Johanna lange gehütet und das beinahe ihre Familie zerstört hat.

"Der Morgen nach dem Regen" ist ein fesselndes Familienporträt, das über die Zerrissenheit einer Frau zwischen Leidenschaft für ihren Beruf und dem Bedürfnis, für ihre Familie da zu sein, erzählt. Es geht um tiefsitzende Schuld, Schmerz und Versöhnung. Eine emotionale und ergreifende Geschichte, die geschickt zwischen Vergangenheit und Gegenwart wechselt.

Melanie Levensohn: Der Morgen nach dem Regen   Insel Verlag

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Die Ordnung im Universum

Tiefe Narben

Italien kurz nach dem 2. Weltkrieg: Der Frieden ist frisch, die Narben noch sehr tief. Gilla, eine junge Lehrerin, hat die Bombardierung von Genua überlebt und will sich nun hingebungsvoll um ihre Schülerinnen kümmern. Die 10jährige Francesca ist frisch in der Klasse. Sie lebt im Waisenhaus, ist sehr intelligent, kümmert sich liebevoll und heimlich um eine streunende Katze, mit der sie spricht, nur bei Menschen verstummt sie komplett. Keiner weiss, was sie im Land von Mussolini erlebt hat. 

Gilla beginnt sich um das Mädchen zu kümmern, das offenbar tief traumatisiert ist. Sie möchte einen Neuanfang für ihren Schützling und mit den einfachen Mitteln einer Lehrerin versucht sie Francescas Welt ins Lot zu bringen.

Autorin Raffaella Romagnolo erzählt die Geschichte auf zwei Zeitebenen. Einmal während und einmal nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach und nach enthüllt sie die Geschichte von Francesca, die eigentlich Ester heisst und behütet in ihrer Familie aufwächst, bis Mussolini an die Macht kommt und sich mit Deutschland verbündet. Die Stadt und die Menschen verändern sich, es wird zunehmends schwieriger für die jüdische Familie an Nahrung und Holz zu kommen.

Gilla flüchtet mit ihren Eltern aufs Land, wo sie sicherer sind vor den Bombardierungen der Allierten. Dort lernt sie Partisanenkämpfer kennen, denen sie sich anschliesst.

Mit viel Feingefühl führt uns die Autorin immer tiefer in den Krieg, lässt uns die Angst fühlen, das Nichtglaubenwollen und das Schicksal der Juden in Italien anhand einer Familie erleben. Der aufkommende Faschismus und das Verändern der Gesellschaft rütteln auf, wir sind ganz nah bei diesen Menschen, die tiefberühren und bewegen.

"Die Sterne ordnen" ist keine leichte Kost, aber es lohnt sich, in diese Geschichte einzutauchen, sie beeindruckt, lässt einen nicht los. Ein grossartiges Buch!

Raffaella Romagnolo: Die Sterne ordnen   Diogenes Verlag

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Ein klaustrophobischer Thriller

Wenn die Flut ein altes Verbrechen ans Tageslicht spült

Bad Seeberg, ein kleiner Ort an der Ostküste, droht eine Sturmflut, in den Nachrichten wird davor gewarnt, die Bewohner werden aufgefordert ihre Häuser zu verlassen und sich ins Landesinnere zu begeben. Die ganze Ostseeküste muss evakuiert werden. 

Elisa, die unter Angststörungen leidet und starke Medikamente nimmt, schläft ein. Als sie aufwacht, sind alle längst weg. Während sie ihr Auto bepackt, sieht sie, dass ihre Nachbarn, ein älteres Ehepaar, ihr Haus nicht verlassen haben. Wieso sind sie noch da? Das Paar scheint etwas zu verbergen, allerdings hütet auch Elisa ein Geheimnis.

Als sie gemeinsam starten wollen, fällt ein Baum auf Elisas Auto - eine Flucht ist unmöglich, das Trio ist gefangen im Haus. Der Wasserpegel steigt, der Strom fällt aus und in der nahegelegenen JVA gelingt einigen Häftlingen die Flucht. Einer davon hat nur ein Ziel: Elisa. 

"Nachtflut" ist ein richtiger Pageturner. Als LeserIn sind wir mitten im Geschehen, hören den peitschenden Wind, frieren und lauschen dem Wasser, das sich nicht mehr aufhalten lässt. In dieser Weltuntergangsstimmung treffen mehrere Figuren aufeinander, die abwechselnd erzählen. Elisa, die seit dem tragischen Tod ihrer Schwester unter Panikattacken leidet, ihr Exmann Max, der bei Rettungsdienst arbeitet und Elisa retten will, das merkwürdige Ehepaar, sowie Elisas ehemaliger Schwager Paul, der aus dem Gefängnis geflohen ist. Dazwischen werden Tagebucheinträge einer Frau eingeschoben, deren Identität lange im Dunklen liegt.

Das sind die Ingredienzien, die einen nicht zur Ruhe kommen lassen bis die letzte Seite gelesen ist. Von daher Vorsicht: Einmal angefangen gibt es kein Halten mehr!

Stina Westerkamp: Nachtflut   Ullstein Verlag

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